Expertenvortrag zum Thema AD(H)S und Schule
Mit dem Online-Vortrag von Diplom Sozialpädagogin Andreina Serra boten wir Fach- und Lehrkräften die Möglichkeit, sich umfassend zu informieren sowie konkrete Hilfestellungen für den Schulalltag zu erhalten: Wie kann adäquat auf Störungen reagiert werden? Wie können betroffene Kinder und Jugendliche optimal integriert, bestärkt und unterstützt werden?
Ebendiese konkreten Handlungsempfehlungen kamen sehr gut bei den Zuhörern an:
Unterrichtsgestaltung
Zusammenfassend
lässt sich sagen, dass der Unterricht für beide Seiten angenehmer
verläuft, wenn einige Rahmenbedingungen und die Kommunikation auf die speziellen Bedürfnisse von AD(H)S-Betroffenen angepasst werden.
Wichtige Hinweise zur optimalen Unterrichtsgestaltung sind:
Wenig Ablenkung, reizarme Umgebung, feste Strukturen und Rituale
Bilder an den Wänden, Fenster mit Ausblick, spannende Sitznachbarn: Alles Ablenkungen, die es den Schüler*innen schwer machen, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Optimal sind Einzeltische und eventuell Stellwände, um die Sicht einzuschränken. Auch Kopfhörer gegen zu viele Nebengeräusche helfen dabei, sich ganz auf die Aufgabe im Unterricht zu konzentrieren. Vorteilhaft für AD(H)S-Betroffene wäre, möglichst auf Klassenzimmerwechsel zu verzichten. Feste Strukturen und eine bekannte räumliche Umgebung geben ihnen Halt. Ebenso Rituale zu Beginn des Unterrichts. Diese machen klar, dass jetzt die Phase der Konzentration beginnt und die Schüleri*innen können sich dadurch körperlich und geistig auf den Unterricht einstellen.
Performative
Sprache nutzen
Jede noch so kleine
Tätigkeit sprachlich unterstreichen: „Jetzt nehmen wir den Füller
aus dem Mäppchen. Dann legen wir das Blatt vor uns auf den Tisch.
Und jetzt schreiben wir den ersten Satz von der Tafel ab.“ Nur so
gelingt es, bei der Sache zu bleiben und den Auftrag vollständig
auszuführen. Jeder weitere Schritt muss wieder klar und deutlich
kommuniziert werden. Das kleinschrittige Vorgehen ist dabei
ausschlaggebend.
Das
Prinzip „Eins nach dem anderen“ ist AD(H)S-Betroffenen bis ins
Erwachsenenalter eine unverzichtbare Hilfe. Hilfreich ist es auch,
die Schüler*innen die Aufgabe mündlich wiederholen zu lassen, denn
Sprache schafft Realität.
Positive
Atmosphäre schaffen
Ist die Beziehung zur Lehrperson gut, lernen Schüler*innen auch gut. Die private Beziehung kann man in Pausen oder im Sportunterricht pflegen. Auch Humor kommt immer gut an – mit einer gewissen Leichtigkeit werden große Probleme plötzlich „kleingelacht“. Der Alltag von AD(H)S-Kindern ist schon Herausforderung genug, man sollte versuchen, ihn nicht noch schwieriger zu gestalten. Oftmals hilft es auch, eine schwierige Situation zu unterbrechen und zeitverzögert darauf zu reagieren. Das heißt, aus der Situation herauszugehen, doch auf jeden Fall klarzustellen: „Wir sprechen später noch darüber!“. Emotionen, Aufmerksamkeit und Motivation sind bei diesen Kindern viel stärker verknüpft als bei ihren Mitschüler*innen. Wenn ein Gefühl absackt, verursacht dies eine Kettenreaktion und die komplette Motivation leidet darunter. So sollte man sich als Lehrkraft immer fragen: „Stört dies oder jenes den Unterricht wirklich so drastisch, das ich eingreifen muss? Oder kann ich ein Auge zudrücken und darüber hinwegsehen?“. Vor allem der Bewegungsdrang von AD(H)S-ler*innen wird oftmals als störend empfunden. Doch gerade diese motorische Aktivität (z. B. Kippeln auf dem Stuhl, Hin und Her Rutschen, usw.), hilft den Betroffenen, sich zu konzentrieren.
Sich Aufmerksamkeit sichern
Schlagworte, Signalkarten oder vorher abgesprochenen Handzeichen helfen, die Aufmerksamkeit zu regulieren. Oft auch eine kurze Berührung an der Schulter – alles Signale, die die Schüler*innen zurück ins Hier und Jetzt holen. Oft fällt es AD(H)S-Betroffenen leichter, auf Nonverbales zu reagieren, daher hat das PGE eine Vielzahl von Handzeichen entwickelt (s. Abbildung 1). Hilfreich sind die nonverbalen Mittel auch, da sie die anderen Schüler*innen nicht so sehr aus ihrem Gedankenfluss oder ihrer konzentrierten Stillarbeit reisen. Das Umhergehen im Klassenzimmer sichert Lehrkräften ebenso die Aufmerksamkeit. Auch wenn es aufdringlich scheint: die AD(H)S-Betroffenen sind darauf angewiesen. Allein schaffen sie es nicht, eine komplexe Handlung konsequent umzusetzen. Sie brauchen oftmals 8-18-mal länger als Altersgenoss*innen, bis sie Regeln verinnerlicht haben. Umdenken ist eine Herausforderung für sie, die Transferleistung findet nicht statt. AD(H)S-Kinder brauchen viel mehr Unterstützung und Hilfe im Unterricht – und dabei kann man sie stehts mit einbeziehen, indem man häufig fragt: „Was brauchst du?“. Gemeinsam findet sich meist eine Lösung!
Umgang mit schwierigen Situationen im Unterricht
In ihrem Vortrag ging Frau Serra explizit auf den Umgang mit schwierigen Situationen im Unterricht ein, wie beispielsweise Verweigerung, verbale Ausfälligkeiten, körperliche Auseinandersetzungen oder respektloses Verhalten. Dabei empfahl sie folgendes Vorgehen:
- Reaktion auf unerwünschtes Verhalten vermeiden
- Ignorieren
- Diskussionen vermeiden
- Erwünschtes Verhalten benennen
- Fehlverhalten benennen und Intervention verschieben
- Ankündigung von Konsequenzen (z. B. Nacharbeit nach Unterrichtsschluss)
- Time-Out oder Unterstützung anfordern
- Blickkontakt / Körperkontakt
- Standhaft bleiben oder Handlungsalternative suchen
- Verbale Äußerungen nicht persönlich nehmen
Die Referentin und das PGE
Das PGE (Private Gymnasium Esslingen) wurde ursprünglich als Schule für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gegründet und zeichnet sich durch sein einzigartiges Schulkonzept aus. Es bietet Schüler*innen mit AD(H)S den passenden Rahmen, um ihren ganz individuellen Weg zum Schulabschluss zu gehen. Das pädagogische Konzept setzt auf mehreren Ebenen an und erarbeitet mit Eltern und Kindern, aber auch mit Erzieher*innen und Lehrer*innen Wege zur Lösung konkreter problematischer Situationen. Als Grundlage der Arbeit dienen bewährte Methoden aus der Verhaltenstherapie sowie der systemischen Therapie. Seit 2008 ist Frau Serra dort tätig. Die gelernte Diplom Sozialpädagogin arbeitete zuvor schon über zehn Jahre lang als Therapeutin schwerpunktmäßig mit AD(H)S-Kindern, worauf sich ihre Expertise im Umgang mit Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwierigkeiten stützt.
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