ADHS-Wahrnehmung in den sozialen Milieus in Deutschland
ADHS stellt heute zwar eine gut erforschte Störung dar, erweist sich aber noch immer als ein mitunter kontrovers diskutiertes Störungsbild, dessen Ursachen durch verschiedene Modelle erklärt werden sollen. Der öffentlich geführte Diskurs schlägt sich auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nieder.
Die Studie soll dabei helfen, genauer zu verstehen,
• was die Menschen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Milieus über ADHS wissen,
• welche Vorurteile sie möglicherweise gegenüber ADHS-Betroffenen haben,
• welche (persönlichen und medial vermittelten) Erfahrungen sie mit ADHS haben.
• Es wurde auch erfragt, wer selbst von ADHS betroffen ist und wer ADHS-Betroffene im sozialen Nahumfeld hat.
Als methodischer Zugang wurde eine repräsentative Online-Studie unter 1.000 Eltern ab 30 Jahren mit mindestens einem Kind im Alter von 0-17 Jahren gewählt. Die Befragung fand im Zeitraum vom 22.07. bis zum 12.08.2021 statt und die Befragungslänge betrug 25 Minuten.
Die Lebenswelten der erhobenen Milieus basieren auf Wertorientierung, Lifestyle und ästhetische Präferenzen. Die Auswertung nach demografischen Merkmalen wurde gemäß der Sinus-Milieus® durchgeführt. Relevant für unsere Zusammenfassung der Studie sind Alter, Geschlecht und Bildungsniveau der Befragten.
Ergebnisse der Studie
Bekanntheit, Interesse, Informationsstand
ADHS ist ein wichtiges Thema unter Eltern, denn fast alle Eltern können etwas mit dem Begriff ADHS anfangen – unabhängig von demografischen Merkmalen und Milieu-Zugehörigkeit. Drei Viertel geben auch an zu wissen, wofür der Begriff ADHS steht. Die Höhergebildeten unterscheiden sich hier klar von den Niedriggebildeten (83% vs. 65%).
Drei von vier Eltern sind am Thema ADHS interessiert: Unter den bildungsfernen Eltern ist ein deutlich kleinerer Teil “sehr interessiert” als in der Gruppe der Eltern mit hoher Bildung (19% vs. 29%).
Trotz des Interesses für das Thema ADHS ist der persönliche Informationsstand ausbaufähig – vor allem unter den Bildungsfernen. Denn nur jede*r zehnte Befragte stuft sich mit Blick auf ADHS als “sehr informiert” ein, die Hälfte gibt hier an, “eher informiert” zu sein. Besonders die bildungsbenachteiligten Eltern gestehen Informationsdefizite ein (45% vs. 61% gesamt).
Betroffenheit
Klinische ADHS-Diagnosen sind bei Kindern weit stärker verbreitet als bei Erwachsenen.
9% der Befragten geben an, dass eine klinische ADHS-Diagnose bei ihrem Kind vorliegt. Unter den älteren Eltern liegt der Anteil dabei deutlich höher als bei den jüngeren (30-39 J.: 7%, 50+ J.: 14%). Unterschiede nach Geschlecht und Bildung zeigen sich hier keine. 11% der Eltern machen eine Betroffenheitsvermutung (ohne Diagnose).
Medizinisch-psychologische Einordnung von ADHS
Es gibt eine klare Meinung zu AHDS: ADHS gibt es wirklich – es gilt als eine Entwicklungs- und Teilleistungsstörung. Andere medizinisch-psychologische Erklärungsansätze finden nur wenige Eltern plausibel. So sind nur knapp zwei von zehn Eltern der Meinung, dass ADHS eine neuropsychiatrische Krankheit sei oder eine “Normvariante”. Nur 12% betrachten ADHS als eine Persönlichkeitsstörung, und nur 6% verbinden ADHS mit einer Stoffwechselerkrankung bzw. -störung. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht über das Ranking der vermuteten Ursachen von ADHS:
Ursache für ADHS | Basis: n = 1.000; Angaben in % |
Hyper- oder Hypo Aktivität | 51 % |
Genetische Ursache / Vererbung | 40 % |
Neurologische Erkrankung | 37 % |
Chemisches Ungleichgewicht im Gehirn | 25 % |
Zu viel TV, Internet, Computer, Smartphone | 24 % |
Mangelnde Aufmerksamkeit der Eltern | 21 % |
Problematische Familienverhältnisse (Alkoholismus, Häusliche Gewalt etc.) | 21% |
Leistungsdruck | 21 % |
Drogen- / Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft | 20 % |
Überfordernde Lebensereignisse | 19 % |
Überforderung der Eltern in der Erziehung | 19 % |
Unzureichende Selbstkontrolle | 17 % |
Depressionen oder andere psychische Erkrankungen | 16 % |
Schlechte Ernährung (Vitaminmangel, zu viel Zucker) | 14 % |
Probleme mit Gleichaltrigen | 13 % |
Schulprobleme | 12 % |
Umweltbelastungen | 11 % |
Drogenmissbrauch / Alkoholmissbrauch des Betroffenen | 9 % |
Schlechte Erziehung | 7 % |
Niedriges Einkommen / Kinderarmut | 4 % |
Folgen von Impfungen in der Kindheit | 3 % |
Nichts davon | 6 % |
Die Bildung der Eltern spielt bei der ADHS-Ursacheneinschätzung eine Rolle, Geschlecht und Alter hingegen nicht. Es zeigen sich Tendenzen, dass Bildungsferne tendenziell etwas eher als Bildungsnahe die „Schuld“ für ADHS bei den Betroffenen selbst suchen.
Einstellungen zu ADHS
Die Eltern sind sich sicher: ADHS-Betroffen sind v.a. zappeliger als andere Kinder, aber nicht weniger intelligent. Nur 15% möchten, dass ihre Kinder keinen Kontakt zu ADHS-Betroffenen haben. Die Väter geben sich hier deutlich strikter als die Mütter (20% vs. 10% Zustimmung).
Die befragten Eltern haben ein ambivalentes Verhältnis zu ADHS-Medikamenten: Die breite Mehrheit der Eltern ist sich einig, dass ADHS-Medikamente helfen und für Therapien wichtig sind, aber nicht das Allheilmittel sein können.
75% der Eltern vertreten die Ansicht, dass ADHS-Medikamente den Betroffenen dabei helfen, ein normales Leben zu führen. Etwa genauso verbreitet ist die Meinung, dass Medikamente die Kinder lediglich still stellen, aber nicht heilen. Die älteren Eltern haben eine etwas positiver Haltung zu ADHS-Medikamenten als die jüngeren. Sie sind auch etwas seltener der Meinung, dass sie Kinder nur zur Ruhe bringen, letztlich aber nicht heilen. Die Fragen nach negativen Effekten von Medikamenten spalten die Elternschaft: 56% sind der Meinung, dass ADHS-Medikamente stumpf machen, 44% teilen diese Sicht nicht. Die Hälfte sagt, dass durch ADHS-Medikamente das Lebensgefühl verloren geht, die andere Hälfte widerspricht dem.
Informationsverhalten
Viele potenzielle Informationsquellen zu ADHS bleiben von den Eltern ungenutzt. Unsere Übersicht zeigt die beliebtesten Anlaufstellen:
Die verschiedenen Hilfsangebote sind sehr unterschiedliche bekannt. Sie gelten aber fast durch die Bank mehrheitlich als hilfreich.
Unter den ADHS-Hilfsangeboten sind die Medikamentengabe und die Kinder- und Jugendpsychiatrie die bekanntesten.
Das Ranking der als am hilfreichsten verstandenen Angebote wird von Familienhilfe (92%), Elterncoaching (91%), Verhaltenstherapie (88%) und Schulbegleitung (88%) angeführt!
Verhaltenstherapie und Reha werden von älteren Eltern für hilfreicher erachtet als von jüngeren Eltern. Bildungsferne Eltern halten die Angebote Familienhilfe, Elterncoaching, Fachbücher und Medikamentengabe für unterdurchschnittlich hilfreich.
Bedarfe im Kontext von AHDS
Knapp die Hälfte der Eltern hält Informationen zu familiärer Unterstützung für besonders wichtig.
Es wurde erfragt, welche Informationen bzw. Angebote im Zusammenhang mit ADHS als besonders wichtig gelten. Die befragten Eltern konnten aus einer Liste von 15 Angeboten die drei ihrer Meinung nach wichtigsten Angebote auswählen. Hierbei zeigt sich Folgendes:
Die größten Bedarfe liegen im Bereich der familiären und schulischen Unterstützung, der Therapie sowie der Anlaufstellen.
Lebenszufriedenheit und Zukunftsoptimismus
Betroffene Eltern sind unzufriedener und pessimistischer als nicht-betroffene Eltern:
Vor allem bei der Einschätzung mit Blick auf die Zukunft der eigenen Kinder sind betroffene Eltern weit weniger optimistisch als nicht-betroffene, 20% der Betroffenen sind sogar der Meinung, die Zukunft ihrer Kinder würde eher oder sogar sehr pessimistisch aussehen, bei den nicht-betroffenen Eltern denken dies nur 13%.
Niedrig gebildete Eltern sind deutlich weniger zufrieden als mittel oder höher gebildete Eltern. Auch die Angst vor der eigenen und der Zukunft der Kinder ist bei bildungsfernen Eltern deutlich stärker ausgeprägt als bei bildungsnahen Eltern.
Väter sind beim Blick in die Zukunft sowohl für sich selbst, als auch für ihre Kinder, pessimistischer als die Mütter.
Quelle / Studie:
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