Selbstregulation - Konzentration auf das Wesentliche

Volle Konzentration - Wie Eltern die Selbstregulation ihrer Kinder fördern können

Der Banknachbar hat ein neues Mäppchen, auf dem Hof wird Fußball gespielt, das Smartphone vibriert, die Stifte müssen gespitzt werden – Ablenkungen über Ablenkungen, alle viel interessanter als die Matheaufgabe. Sich auf eine Sache zu konzentrieren und diese ohne Unterbrechung durchzuführen, fällt vielen Kindern schwer. Doch Selbstregulation kann trainiert werden!


Selbstregulation – was ist das?

Selbstregulation: Das heißt Gewissenhaftigkeit, bei der Sache bleiben, sich nicht ablenken lassen, Pläne schmieden und umsetzen. Kurzfristigen Impulsen widerstehen, um langfristige Ziele zu verfolgen. Sich selbst regulieren zu können, ist eine unserer wichtigsten Fähigkeiten. Nicht nur für den Erfolg in der Schule, sondern auch im späteren Leben: beim Regeln der Finanzen, in Beziehungen, im Berufsleben. Allerdings müssen wir die Grundlagen schon in der Kindheit lernen.


Wichtigster Mitspieler: das Gehirn

Unsere Expertin, Frau Dr. Kubesch vom Institut BILDUNG plus erklärt, wie wichtig die Selbstregulationsfähigkeit für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist und wie sie in unserem Gehirn verankert ist:

Gewisse kognitive Fähigkeiten, exekutive Funktionen genannt, unterliegen der Selbstregulation. Dazu zählen jene Fähigkeiten, mit denen man seine Gedanken kontrolliert und koordiniert. Wichtigster Mitspieler ist dabei das Arbeitsgedächtnis mit dem Kurzzeitspeicher, das Informationen speichert, die für das Ausführen einer Aufgabe notwendig sind. Die Inhibition, die Fähigkeit, spontane Impulse zu unterdrücken und sich nicht ablenken zu lassen, ist eine weitere exekutive Funktion. Auch die kognitive Flexibilität, das heißt die Fähigkeit, sich schnell auf neue Situationen einstellen zu können, gehört dazu. Erfährt ein Schüler beispielsweise am Morgen, dass der Lehrer krank ist und eine Vertretung die Stunde übernimmt, kann das für viel Durcheinander sorgen. Kinder mit einer ausgeprägten kognitiven Flexibilität stellen sich dagegen ganz unkompliziert auf den neuen Lehrer ein. Ihnen fällt das Umstellen vom freien Spiel auf Stillarbeit, vom Spielen zum Aufräumen oder vom Bereitlegen der Arbeitsmaterialien bis hin zum eigentlichen Start der Aufgabe (Initiierung) leicht. Kinder mit schwachen exekutiven Funktionen sind leichter ablenkbar, vergessen Arbeitsanweisungen, verlieren sich in Aufgaben und haben Probleme diese zu Ende zu führen. Oft können sie spontane Impulse kaum unterdrücken und fallen durch unbeherrschtes, aggressives Verhalten auf.

Wie Eltern ihren Kindern helfen können

Die gute Nachricht: Mit Geduld und Ausdauer können Eltern ihren Kindern helfen. So gibt ein geregelter Tagesablauf schon im frühen Kindesalter Halt und Struktur. Das beginnt beim Aufhängen der Jacke nach dem Ankommen Zuhause oder beim Aufräumen der Schuhe ins Regal. Das Einbeziehen der Kinder in einfache Alltagsaufgaben hilft, die exekutiven Funktionen zu trainieren. Steht beispielsweise in der Schule Sportunterricht auf dem Stundenplan, können die Kinder helfen, die nötigen Utensilien zu packen. Dadurch lernen sie Verantwortung zu übernehmen und voraus zu denken. Unterstützt wird das Erlernen der Selbstregulation außerdem durch Regeln und Rituale sowie dem Umsetzen von Konsequenzen. Wichtig dabei ist, dass nur das Verhalten, das man fördern will, belohnt werden sollte. Nicht etwa mit Versprechungen wie: „Wenn du deine Hausaufgaben machst, darfst du danach fernsehen.“, sondern mit einem Lob, für die aufgebrachte Anstrengungsbereitschaft, nachdem die Hausaufgaben ohne Murren erledigt wurden. Zielvereinbarungen, sogenannte Wenn-dann- und Verstärkerpläne, machen den Kindern deutlich, dass eine Handlung Konsequenzen nach sich zieht und dass für das Erreichen von Zielen bestimmte Handlungen notwendig sind. Besonders hilfreich sind dabei sportliche und Bewegungsspiele, bei denen Körper und Geist aktiviert werden. Denn erwiesenermaßen behält das Gedächtnis Inhalte länger, wenn diese mit einer Bewegung verbunden wurden. Ein einfaches Beispiel für ein sportliches Spiel für die Sporthalle oder den Pausenhof: Eine Spielergruppe trägt rote Trikots, eine weitere Gruppe blaue und eine Dritte grüne Trikots. Die Regel heißt nun: Blau fängt Grün und Grün fängt Rot. Der Schwierigkeitsgrad kann erhöht werden, indem man die Regeln nach Belieben verändert. Die Kinder müssen sich dabei etwas merken, schnell umdenken und sich auf neue Situationen einstellen, spontane Impulse unterdrücken und sich auf das Mitdenken und Mitspielen konzentrieren.

Kinder bleiben Kinder

Abschließend betonte Frau Dr. Kubesch, dass Eltern nicht vergessen sollten, dass ihre Kinder Kinder sind. Oft erwartet man von ihnen ein erwachsenes Verhalten, doch vieles können die Kinder noch nicht leisten oder wissen. Pünktlichkeit, Zuhören, eigene Bedürfnisse hintenanzustellen – all das muss über Jahre gelernt und geübt werden. Das gilt insbesondere für Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, die häufig bemüht sind, sich angemessen zu verhalten, denen dies aber aufgrund ihrer geringeren Selbstregulationsfähigkeit oftmals noch nicht gelingt. Zur Förderung der Selbstregulationsfähigkeit von Kindern empfiehlt sie einen autoritativen Erziehungsstil. Das ist eine von Liebe und Unterstützung geprägte Erziehung, bei der die Meinung der Kinder respektiert und wenn möglich einbezogen wird, bei der die Eltern aber gleichzeitig klare Grenzen und Regeln vorgeben und diese auch konsequent durchsetzen.

Die Expertin

Dr. Sabine Kubesch ist Sport- und Neurowissenschaftlerin. Sie leitete von 2006 bis 2011 die Arbeitsgruppe „Exekutive Funktionen und Sport“ am ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen an der Universität Ulm. 2008 bis 2009 war sie Postdoctoral Fellow an der Harvard Graduate School of Education. Aktuell ist sie Geschäftsführerin und Leiterin von INSTITUT BILDUNG plus. Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Untersuchung und Förderung von exekutiven Funktionen und Selbstregulation von Kindern und Jugendlichen durch körperliches und kognitives Training. Außerdem hat sie die Bildungsplankommissionen in Baden-Württemberg zur Bedeutung und Förderung von exekutiven Funktionen und Selbstregulation beraten. In Nordrheinwestfalen begleitet sie das landesweite Projekt „Schule mit Schwung – Selbstregulation und Lernen“.

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